Schätzungen: Eine Hassliebe
Reden wir über Schätzungen. Egal, um welches Projekt oder welche Aufgabe es sich handelt, immer wird jemand fragen: „Wie lange wird es dauern?“ Was wie eine einfache Frage erscheint, entwickelt sich oft zu einem Fass ohne Boden voller Debatten, Meinungsverschiedenheiten und Unzufriedenheit auf allen Seiten.
Wenn du schon einmal eine Schätzung abgegeben hast, dass eine Aufgabe „zwei Wochen“ dauern würde und dann festgestellt hast, dass sie sich auf einen Monat verlängert hat, dann bist du nicht allein.
Bei Schätzungen geht es nicht um strikte Zeitvorgaben, wie der Name schon vermuten lässt. Sie sollen dabei helfen, wertvolle Entscheidungen zu treffen, das Bild über das Geplante zu vereinheitlichen und mehr.
In diesem Leitfaden analysieren wir verschiedene Schätzmethoden, von „Ideal Days“ über „Story Points“ bis hin zu „#NoEstimates“, sodass du am Ende sowohl weißt, wie du die richtige Methode auswählst, als auch, warum ich eine dieser Methoden bevorzuge.
Warum schätzen wir?
Schätzungen sind wichtig, da sie Teams und Stakeholdern bei der Entscheidungsfindung helfen. Stakeholder benötigen Klarheit über Zeitpläne und Kosten, um zu entscheiden, ob sich ein Projekt lohnt. Teams benötigen Schätzungen, um Ressourcen zuzuweisen, Kapazitäten zu verwalten und die Arbeit effektiv zu priorisieren.
Schätzungen sind jedoch nicht Glaskugellesen. Sie sind fundierte Vermutungen auf Grundlage verfügbarer Informationen. Werden sie fälschlicherweise als Garantien verwendet, führt dies häufig zu Enttäuschungen. Die Lösung liegt darin, Schätzungen als Instrument zur Abstimmung und Entscheidungsfindung zu betrachten und nicht als in Stein gemeißelte Versprechen.
Herausforderungen von Schätzungen
Schätzungen sind aus drei Hauptgründen schwierig:
Unsicherheit: Projekte sind oft mit unbekannten Gegebenheiten verbunden, insbesondere in den frühen Phasen, wenn die Anforderungen unklar sind (siehe auch den Kegel der Unsicherheit).
Komplexität: Je mehr bewegliche Teile eine Aufgabe oder ein Projekt hat, desto schwieriger wird es, den Aufwand genau vorherzusagen.
Menschliche Natur: Menschen sind von Natur aus schlecht darin, die Zeit vorherzusagen, insbesondere bei unbekannten oder komplexen Aufgaben.
Diese Herausforderungen unterstreichen, wie wichtig es ist, eine Schätzmethode zu wählen, die der Komplexität und Unsicherheit der Arbeit entspricht.
Anpassung der Schätzmethoden an die Komplexität
Für unterschiedliche Arten von Arbeit eignen sich unterschiedliche Schätzmethoden. Ich werde die Stacey-Matrix „missbrauchen“, um herauszufinden, welche Methode am besten passt:
Einfache Arbeit (geringe Unklarheit, geringe Unsicherheit): Ideal Days bzw. Idealtage.
Komplizierte Arbeit (mittlere Unklarheit, geringe-mittlere Unsicherheit): Story Points.
Komplexe Arbeit (mittlere-hohe Unklarheit, mittlere-hohe Unsicherheit): #NoEstimates.
Schauen wir uns jede dieser Methoden genauer an, um zu verstehen, wie sie funktionieren, wann man sie einsetzt und wie man häufige Fehler vermeidet.
1. Idealtage: Am besten für einfache Arbeiten
Was sind Idealtage?
Idealtage geben an, wie lange eine Aufgabe dauern würde, wenn sie ohne Unterbrechungen oder Ablenkungen erledigt würde. Das Schreiben eines Berichts könnte beispielsweise zwei Ideale Tage dauern, wenn man mit absoluter Konzentration und ohne Unterbrechungen daran arbeiten würden.
Diese Methode geht von einer idealen Welt aus. Dies ist ihre größte Stärke und zugleich ihre größte Schwäche.
Wann werden Idealtage verwendet?
Idealtage eignen sich am besten für einfache, vorhersehbare Aufgaben mit geringer Unsicherheit. Routinemäßige Wartungsarbeiten, sich wiederholende Aktualisierungen oder einfache Verwaltungsaufgaben eignen sich hervorragend für diese Methode.
Tipps zur Verwendung von Idealtage
Arbeit in kleinere Teile aufteilen: Teile größere Projekte in überschaubare Aufgaben auf, um die Komplexität nicht zu unterschätzen.
Reale Bedingungen berücksichtigen: Passe Schätzungen an, um Unterbrechungen, Besprechungen und Zusammenarbeit zu berücksichtigen.
Über Annahmen im Klaren sein: Kommuniziere, dass Idealtage perfekte Arbeitsbedingungen voraussetzen.
Vor- und Nachteile Idealtage
Vorteile:
Einfach und für jeden leicht verständlich.
Wirksam für routinemäßige, vorhersehbare Arbeiten.
Nachteile:
Unrealistisch für komplexe oder kollaborative Aufgaben.
Unterbrechungen und Abhängigkeiten werden nicht berücksichtigt.
2. Story Points: Der flexible Agile-Favorit
Was sind Story Points?
Story Points messen den relativen Aufwand, die Komplexität und das Risiko einer Aufgabe. Sie sind nicht direkt an die Zeit gebunden, sondern konzentrieren sich auf den Vergleich von Aufgaben miteinander. Beispielsweise könnte eine Anmeldeseite eine 3 erhalten, während ein Zahlungsgateway eine 8 erhalten könnte, weil es komplexer und aufwändiger ist.
Story Points regen Teams dazu an, in Aufwandsgrößen statt in Stunden oder Tagen zu denken. Dadurch wird der Druck, präzise Vorhersagen treffen zu müssen, verringert.
Wann werden Story Points verwendet?
Story Points eignen sich ideal für Aufgaben mit mittlerer Unklarheit und geringer bis mittlerer Unsicherheit. Sie eignen sich gut für Agile-Teams, die in Sprints oder Iterationen arbeiten, wo Aufgaben gemeinsam aufgeteilt und priorisiert werden können.
Variabilität in Story Points verstehen
Story Points sind keine präzisen Messwerte, was beabsichtigt ist. Eine auf 5 Punkte geschätzte Aufgabe kann manchmal die gleiche Zeit erfordern wie eine 3-Punkte-Aufgabe oder eine 8-Punkte-Aufgabe, abhängig von Faktoren wie unerwarteten Herausforderungen oder der Teamkapazität.
Diese Variabilität unterstreicht, wie wichtig es ist, Story Points als Richtlinien und nicht als Garantien zu betrachten.
Tipps zur Verwendung von Story Points
Verankern der Skala: Verwende eine vertraute Aufgabe als Basis, um andere damit zu vergleichen.
Das Team einbeziehen: Kollaborative Techniken wie Planning Poker, Wall of Estimation usw. helfen dabei, die Abstimmung sicherzustellen.
Konzentration auf den relativen Aufwand: Vergleiche statt Präzision, und vermeide die Verknüpfung von Story Points mit der Zeit.
Vor- und Nachteile von Story Points
Vorteile:
Fördert die Zusammenarbeit und Abstimmung im Team.
Gut skalierbar für agile Arbeitsabläufe und iterative Projekte.
Nachteile:
Wird oft als direkte Zeitschätzung missverstanden.
Erfordert eine konsequente Abstimmung innerhalb des Teams.
3. #NoEstimates: Akzeptiere das Unbekannte
Was ist #NoEstimates?
#NoEstimates stellt die Vorstellung in Frage, dass traditionelle Schätzungen notwendig sind. Anstatt zu schätzen, wie lange Aufgaben dauern werden, konzentriert sich #NoEstimates auf die Bereitstellung kleiner, wertvoller Arbeitseinheiten und die Verwendung historischer Daten zur Prognose von Zeitplänen.
Das Ziel besteht darin, den Zeitaufwand für Kostenschätzungen zu verringern und mehr Zeit für die Wertschöpfung aufzuwenden.
Wann wird #NoEstimates verwendet?
Diese Methode eignet sich am besten für Projekte mit mittlerer bis hoher Unsicherheit und mittlerer bis hoher Unklarheit, bei denen herkömmliche Schätzmethoden an ihre Grenzen stoßen.
Es funktioniert besonders gut für Teams mit etablierten Metriken und einem Fokus auf kontinuierlicher Wertlieferung.
Tipps zur Verwendung von #NoEstimates
Durchsatz verfolgen: Überwache, wie viele Aufgaben das Team in einem bestimmten Zeitraum erledigt, um die zukünftige Leistung vorherzusagen.
Inkrementelle Lieferung: Teile die Arbeit in kleine, sinnvolle Teile auf, die schnell geliefert werden können.
Stakeholder informieren: Erkläre, warum dieser Ansatz eher auf Ergebnisse als auf Vorhersagen basiert.
Vor- und Nachteile von #NoEstimates
Vorteile:
Spart Zeit, da langwierige Schätzdiskussionen entfallen.
Konzentriert sich auf die Wertlieferung und nicht auf die Diskussion von Zeitplänen.
Nachteile:
Erfordert Vertrauen von Stakeholdern, die möglicherweise an traditionelle Schätzungen gewöhnt sind.
Hängt von zuverlässigen historischen Daten ab, die neuen Teams möglicherweise fehlen.
Mein bevorzugter Ansatz
Ich bin ein kleiner Fan von #NoEstimates. Es ist irgendwie befreiend, die Debatten auszulassen und sich auf die Wertschöpfung zu konzentrieren.
Mir ist jedoch bewusst, dass es Momente gibt, in denen die Beteiligten ein Gefühl für den Aufwand brauchen, um Entscheidungen zu treffen. In diesen Fällen neige ich zu Story Points.
Sie ermutigen zu sinnvollen Gesprächen, stimmen Teams aufeinander ab und ermöglichen Flexibilität, was sie zu einer verlässlichen Alternative macht.
Idealtage? Für einfache, vorhersehbare Arbeiten sind sie in Ordnung, aber meiner Erfahrung nach brechen sie zusammen, sobald die Komplexität zunimmt.
Fazit: Mehrwert liefern, nicht Vorhersagen
Bei Schätzungen geht es nicht um Perfektion, sondern um Praktikabilität.
Unabhängig davon, ob man Idealtage bzw. Ideal Days, Story Points oder #NoEstimates verwendet, bleibt das Ziel dasselbe: Teams ausrichten, Komplexität bewältigen und effektiv Mehrwert liefern.
Comments